Datenpopulismus

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Anfang des Monats machten wir ein Experiment. Wir von OpenDataCity hatten seit Tagen schon an einer Webapp zu Prism/Tempora gearbeitet. Unser Eindruck war, dass das Thema „untervisualisiert“ war; gleichzeitig aber Visualisierungen in dem stark technisch geprägten Komplex von Nutzen sein könnten. Bei den Überwachungssystemen geht es erst einmal um Daten – was liegt näher, als sich ihnen per Datenjournalismus zu nähern?

Die App, die anhand einiger Beispiele mittels des Tools „Traceroute“ zeigt, wie Internetanfragen durchs Netz geleitet werden, war fast fertig. Die Idee, der von wenig Sachverstand geprägten Aussage des Bundespräsidenten, der einen Vergleich von Stasi und NSA kategorisch von sich wies, etwas entgegenzusetzen, kam recht spontan. Innerhalb weniger Stunde war eine App fertig. Sie vergleicht letztlich nur zwei Zahlen: Nämlich die Möglichkeiten der Speichermengen der Geheimdienste. Am frühen Abend des Donnerstages (4.7.2013) veröffentlichten wir „Stasi vs NSA“ und zwei Stunden später „Prism/Traceroute“.

Bald bezeichneten wir die Stasi vs NSA-Webapp intern als „Datenpopulismus“. Sie ist mittlerweile – vor allem weil wir die App zum Einbetten anbieten – fast 500.000 Mal geklickt worden (siehe Graph oben). Etwa Achtmal soviel, wie die Traceroute-Geschichte. Das zeigt eindrücklich, dass Datenboulevard funktionieren kann. Zumindest wenn es um die „Eyeballs“ geht, also Klicks generiert werden sollen.

So wurde die App sehr bald von bild.de eingesetzt; der Link vom Blogger Fefe brachte ebenfalls nicht wenige Besucher (siehe Graph oben). Eine Woche später gab es eine weitere Aufrufsspitze durch das niederländische Blog GeenStijl.nl (Kein Stil); eine der populärsten Websites der Niederlande, die von manchen als „politisch inkorrekt“ bezeichnet wird.

Uns war klar, dass der Vergleich zwischen Stasi und NSA durchaus heikel ist. Und dass die Zettabyte-Menge an Daten, die die NSA vermeintlich in ihrem neuen Datencenter in Utah speichern oder verarbeiten kann, technisch durchaus Zweifel wegen ihrer Plausibilität hervorrufen (wir bekamen einige Mails deswegen).

Wir haben bewusst die Verkürzung in Kauf genommen. Weil uns wichtig war zu erklären, dass mit den neuen Technologien Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die so wahnwitzig enorm sind, dass sie mit Altbekannten eigentlich nicht mehr zu vergleichen sind. Höchstens eben durch etwas sehr Plakatives.

Damit die Stasi-vs-NSA-App nicht in den Boulevard abrutscht, hätte es einen Hintergrundartikels bedürft. Datenjournalistische Anwendungen brauchen in der Regel Kontext. Allerdings sehen wir in diesem Fall die Herstellung eines Zusammenhangs nicht als unsere Aufgabe. Unsere beiden Apps zu dem Überwachungsthema verstehen wir als Angebote für Redaktionen und andere, eine weitere Perspektive zu bieten, die in ein eigenes redaktionelles Angebot eingebettet werden können.

Entgegen der Stasi-vs-NSA App gehen wir bei der Prism/Traceroute App davon aus, dass sie langfristig funktioniert und nachhaltig eingesetzt wird. So beobachten wir gerade, dass die Vorratsdaten-App, die nunmehr gut zwei Jahre alt ist, in den USA eine Renaissance erlebt, weil dort im Zusammenhang mit Prism viel über das Thema Metadaten gesprochen wird und sie auch in einer englischsprachigen Version vorliegt. Eine Meinungsbeitrag von Malte Spitz in der NYT, dessen Daten der App zugrunde liegen, löste das aus.

Bei den beiden jüngsten Apps hatten wir uns für die Veröffentlichung unter einer Creative Commons Lizenz entschieden. Weil uns wichtig war, dass Material zu diesem Thema zur Verfügung steht, um einen Teil des Komplexes zu illustrieren. Mit der Einschätzung eines Bedarfs lagen wir offensichtlich richtig: Einige Redaktionen kamen auf uns zu und so kamen auch Übersetzungen ins Französische und Englische zustande sowie Varianten der Traceroute-Anwendung für Frankreich und die Schweiz.

Ein Experiment war das Ganze, weil wir nahezu zeitgleich zwei Apps starteten. Und wir so unmittelbar vergleichen konnten, wie Datenjournalismus rezipiert wird: Welche Art von Apps laufen, wie sie geklickt werden, wer sie wofür einsetzt. Darüber haben wir wieder einiges gelernt.

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