Die Weltkriegsfestspiele

kriegsbeginn2Mobilmachung, Moritzplatz in Berlin, 1914 – Bundesarchiv CC:by:sa

Das kommende Jahr ist nicht arm an Jahrestagen: 100 Jahre Beginn 1. Weltkrieg, 75 Jahre Beginn 2. WK und 25 Jahre Mauerfall.

Dem 1. Weltkrieg, dem Großen Krieg, dürfte aber die Hauptrolle zu kommen. In den Redaktionstuben rumort es seit geraumer Zeit. Ab Januar werden die Feuilletonseiten beginnen, sich warm zu laufen; es wird nur so neue Bücher zum Thema hageln; bis es dann zum Crescendo des Attentats in Sarajevo am 28. Juni kommt und dann gut einen Monat lang bis Anfang August Mobilmachung und Kriegserklärungen begleitet werden können.

Was zu befürchten ist:

Die Guidoknoppisierung des Themas: Krieg als altbackender Pop mit einer Prise Revisionismus. Die Schuldfrage wird sicherlich nicht nur bei Günter Jauch hoch und runter dekliniert werden.

Jedenfalls stehen uns massenweise TV-Dokumentationen, zahllose Sonderseiten und -hefte sowie Artikelserien bevor, die meist wenig Neues berichten können, weil in den letzten 100 Jahren schon fast alles beleuchtet und betrachtet wurde. Es dürften diverse Twitteraccounts in den Startlöchern stehen, die um 100 Jahre „in Echtzeit“ verschoben vom Kriegsverlauf berichten; ich möchte wetten, dass es auch den ein oder anderen „Liveticker“ zum Attentat und Kriegsbeginn geben wird.

Zudem sind verschiedene Formate, online, im TV und Radio, à la MDR Live-Berichterstattung zur Völkerschlacht zu erwarten: im Web dürfte es ein Wettrüsten in Sachen Webdokus und „Scrollification“ à la Snowfall zu sehen geben (siehe auch diese Sammlung und Diskussion).

Weiter wäre es keine Überraschung, wenn im TV die ein oder andere Geschichtsklitterung als „unsere Großväter, unsere Großmütter“ darherkommt. Filmtitel könnten auch sein: Im Graben, Die Front, Der Unterstand. Ein paar Mal wird’s auch um Adolf Hitlers 1. Weltkrieg gehen, Ernst Jünger im Stahlgewitter ehrfurchtsvoll erzittern und im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque zu Tode zitiert werden.

Selbstredend wird es darüberhinaus einen Haufen Infografiken geben: Wer hat das längste Kanonenrohr gehabt und die meisten Leute umgebracht? Zudem werden interaktive Karten und Zeitleisten mit Frontverläufen, Schlachten und anderen Ereignissen sprießen.

Kann man alles machen, aber um was mehr als „me-too“, Auflagen, „Eyeballs“ und Einschaltquoten kann es dabei gehen?

Was zu wünschen wäre:

Neue Perspektiven – auch durch neue Formate – auf die scheinbar sattsam bekannte Thematik. Sprich: Mehr Analyse und Zusammenhänge; das Schlagen große Bögen vom Imperialismus und Kolonialismus, dem Aufstieg des Nationalismus über den Kolonialismus bis hin zum Antisemitismus; eine Beschäftigung mit der Rolle der Industrialisierung, der Durchkapitalisierung; mehr Versuche, zu verstehen, wie es zu dieser Kriegsbegeisterung kam, woher die Lust zu Töten rührte und wie schnell die in heutiger Zeit möglicherweise wieder zu aktivieren wäre.

Es wäre zu wünschen, dass gezeigt wird, wie die gesamte Gesellschaften und ihre Länder komplett zum Teil der Kriegsmaschinerie wurde, der Körper hinter der Front. Auch, dass es keine Scheu davor gibt, unangenehme Dinge an- und auszusprechen – siehe etwa: „Die Stadt, das Bier und der Hass.“

Es bräuchte Sichtweisen, die weg vom Eurozentrismus führen, hin zu einer Sicht auf den Krieg, der auch die Folgen beispielsweise für afrikanische Länder und deren Bevölkerung nicht aus dem Blick verliert – und deren Blick auf den Krieg schildert. Siehe: „Unsere Opfer zählen nicht – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“.

Letztlich sind die interessanten Fragen: Kann es wieder zu so einem Krieg kommen und wie lässt sich das verhindern? Welche Spuren sind vom Krieg heute noch da; äußerlich, in Gebäuden, Anlagen und Umwelt –  aber eben auch gesellschaftlich? Wie prägte er unsere Familien bis heute? Wie viel Militarismus steckt heute noch in unseren Gesellschaften, in unserer Sprache? Wie viel unserer zivilen Technologien heute hat seine Wurzeln im Technologieschub durch die Rüstung für den „Großen Krieg“? 

Übrigens: Wenn dann 2018 hundert Jahre Kriegsende vorbei ist, kann es gleich weitergehen: 400 Jahre Dreißigjähriger Krieg.

8 Gedanken zu „Die Weltkriegsfestspiele“

  1. Bei aller berechtigter Kritik: Ein wichtiger (hier nicht erwähnter) Aspekt in dem Zusammenhang ist m.E., dass, je länger ein Ereignis zurückliegt, Bedeutung und Erinnerung dessen verblassen. Niemanden juckt bspw. der 30jährige Krieg – und wie wir spätestens dieses Jahr gesehen haben: Auch die Völkerschlacht liegt lange genug zurück, dass sie als Reenactment bei Bratwurst und Bier zum Familienevent werden darf, ohne dass das von allzu vielen als anstößig empfunden würde. Insofern darf man sich wohl in einigen (vielen) Jahrzehnten darauf gefasst machen, dass bspw. auch die Erstürmung des Reichstags 1945 durch die Sowjets oder der Aufstand im Warschauer Ghetto von engagierten Living-History-Hobbyisten nachgespielt werden wird. Persönlicher Trost ist vielleicht, dass man selbst es nicht mehr erleben muss…

  2. Klingt gut. Und nach Marktlücke. Macht es und werdet reich. Stattdessen lese ich „Es wäre zu wünschen“, „Es bräuchte“, „Letztlich sind die interessanten Fragen“ … Ach so, keine Zeit? Ja, die fehlt mir leider auch.

    1. Verstehe den Einwand nicht: Es gibt Zeitungen und andere Medien, deren Profession es ist, in dem Bereich tätig zu werden. Die haben dafür Zeit und werden uns damit beglücken. Warum sollte man es selber machen?

  3. „Den Aufstieg des Nationalsozialismus über den Kolonialismus bis hin zum Antisemitismus“? Das ist weder eine Kausalkette noch chronologisch geordnet. Sollte jemand, der so einen Artikel verfasst, eigentlich wissen. Auch die Rolle der Industrialisierung und der Industriekonzerne (Chemie, Montanindustrie) wurde in verschiedenen Dokus schon beleuchtet. Erst vor kurzem lief ein Film über Gebäude aus der NS- Zeit, in dem sowohl Reste und Ruinen, als auch noch heute genutzte Gebäude vorgestellt wurden. Die Filme über den Verein „Berliner Unterwelt“ dürfte auch jedem interessierten schon mehrfach über den weg gelaufen sein. Gibt es also schon alles. Auch die Folgen des 2. Krieges, unter anderem der kalte Krieg, wird oft genug beleuchtet. Einzig das erklären der sozialen Landschaft zwischen den Kriegen fehlt bisher fast völlig zum Verständnis dafür, wie es so weit kommen konnte.

    1. Weder wird von mir eine Kausalkette aufgemacht, noch hat der Verein Berliner Unterwelten viel mit dem 1.WK zu schaffen und noch weniger mit medialen Werken in TV, Radio, Print + online. Und davon handelt der Text.

  4. Vielleicht sollte man dann einen Platz schaffen, wo solche Artikel gesammelt werden können.

    Ein möglicher Link:
    The Rhyme of History, Lessons of the Great War von Margaret MaxMillan
    http://www.brookings.edu/research/essays/2013/rhyme-of-history
    (ca 8500 Worte)

    Der Artikel versucht gerade auf Ursachen, Folgen und Parallelen zu Heute einzugehen. Mir klingt letzteres ein bisschen wie „Just so Stories“, aber ich kenne mich in dem Gebiet auch nicht aus.

  5. Also, zunächst mal hiesse „Revisionismus“, die Kriegsschuldfrage neu zu beleuchten. Keine Angst, das wird sicher nicht passieren. Schuld war der Kaiser Wilhelm, der Grössenwahnsinnige, und Basta. Seit 1919 ist das festgeschrieben, und unsere Medien halten sich daran.

    Dass der deutsche Botschafter die deutschen Bürger New Yorks vor einer Fahrt auf der Lousitania gewarnt hat – Interessanter Aspekt, erfährt man aber nur in „Nischenliteratur“.

    Dass Ernst Jünger zitiert wird, kann ich mir vorstellen – allerdings distanziert, kein Redakteur wird es wagen, dessen direkte Erfahrungen und Wortwahl eines 20jährigen Kriegsbegeisterten, wörtlich so zu übernehmen.

    Man wird seine Ansichten kritsich hinterfragen, immer schön mit dem erhobenen Zeigefinger des heutigen Zeitgeistes, nicht aber, um sich wirklich in die Lage eines damaligen 20jährigen Jugendlichen zu versetzen, der den Krieg wie ein grosses Naturspektakel erlebt, an dem er ohnehin nichts ändern kann, und aus dem er das beste macht (Abschüsse in sportlicher Hinsicht betrachten)

    Originalzitat: „In Stahlgewittern“ „Ich war im Kriege immer bestrebt, den Gegner ohne Hass zu betrachten und ihn als Mann seinem Mute entsprechend zu schätzen. Ich bemühte mich, ihn im Kampf aufzusuchen, um ihn zu töten, und erwartete auch von ihm nichts anderes.“

    Und der Antisemitismus, wie kam es dazu – also wenn DAS Thema nicht zum erbrechen schon jeden Tag auf den sattsam bekannten Kanälen durchgekaut wird, dann – Verzeihung- haben Sie vermutlich was verpasst.

    Insofern verstehe ich nicht, wie sie einereseits Angst vor Revisionismus haben, andererseits „einen neuen Blick“ fordern.

    Eine Sondengänger Doku – „Wieviele Spuren sind vom Krieg noch da“ klingt interessant. Auch die Sprache – Ein 0815 Gegenstand, und die wenig freundliche Floskel „Haben wir zusammen im Chaussee-Graben gelegen? – Nein – Dann bleiben wir bitte beim SIE“.

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