Interview mit Datenjournalistin Christina Elmer

Christina Elmer @chelm, geboren 1983, arbeitet im Wissenschaftsressort von Spiegel Online und betreut als Recherche-Trainerin Workshops in Redaktionen und Ausbildungsprogrammen. Zuvor gehörte sie zum Team Investigative Recherche des Stern und arbeitete als Redakteurin für Infografiken bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), wo sie zuvor „dpa-RegioData“ mit aufgebaut hatte. Der Weg dorthin: Volontariat beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), Studium der Journalistik und Biologie an der TU Dortmund, Freie Autorin für Wissenschaftsthemen.

Bezeichnest du dich selbst als Datenjournalistin? Wenn ja, wie würdest du dein berufliches Selbstverständnis beschreiben? 

Ja, aus meiner Sicht passt diese Bezeichnung. Viele meiner Recherchen basieren auf Statistiken oder anderen strukturierten Datensätzen. Daraus Ansatzpunkte für Geschichten herauszukitzeln, würde ich als Kern der datenjournalistischen Arbeitsweise bezeichnen. Mein Fokus liegt dabei immer auf der Frage, ob am Ende eine relevante Story steht. Die kann sich entweder aus der Analyse ergeben oder auch darin bestehen, wichtige Datensätze überhaupt öffentlich zu machen.

Du sagst, die Recherche in Statistiken oder strukturierten Daten sei für dich der Kern datenjournalistischer Arbeit. Ist Datenjournalismus also ein anderes Wort für „Computer Assisted Reporting“ (CAR), wird er durch die Recherche definiert?

Wer datenjournalistisch arbeitet, benutzt zwangsläufig immer auch Werkzeuge und Methoden aus dem Computer Assisted Reporting. Allerdings geht der Datenjournalismus für mich darüber weit hinaus. Wenn Datenjournalisten bei ihren Recherchen dafür sorgen, dass Informationen überhaupt öffentlich werden. Wenn sie diese Daten zugänglich machen, indem sie sie ansprechend aufbereiten und auf offenen Plattformen veröffentlichen. Und wenn sich aus diesen Anwendungen neue Wege des Storytellings ergeben. Das sind alles relevante Bestandteile datenjournalistischer Arbeit, die aus meiner Sicht aber nicht in jedem Projekt zwingend eine Rolle spielen müssen.

Du hast in den letzten vier Jahren zweimal die Arbeitsstätte gewechselt. Von dpa bist du über das Stern-Investigativressort nun bei Spiegel-Online im Wissenschaftsressort gelandet. Wie haben sich deine Arbeitsschwerpunkte geändert und was hat dich daran gereizt, die neue Stelle anzutreten?

Gereizt hat mich vor allem, wieder tagesaktuell zu arbeiten und Datenprojekte aus der Perspektive einer Online-Redaktion zu konzipieren und umzusetzen. Außerdem ist die Wissenschaft mein Heimatressort, in dem die für mich spannendsten Themen liegen. Als Datenjournalistin arbeite ich aber grundsätzlich mit allen Ressorts bei Spiegel Online zusammen. Insgesamt ist mein Job nun schneller, intensiver und vielschichtiger als vorher. Als besonders reizvoll und sehr anregend empfinde ich auch die Chance, bei Datenprojekten mit Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen im Spiegel zusammen zu arbeiten. So wie bei unserem Projekt zum Widerstand gegen den Zensus, zu dem wir Berichte und Grafiken sowohl im Heft als auch online veröffentlicht haben.

Welche Themen bieten sich für Datenjournalismus deiner Meinung nach an? Und gibt es Bereiche, die eigentlich dafür prädestiniert wären, aber derzeit noch kaum datenjournalistisch angegangen werden? Und wenn es die gibt, woran liegt es, dass die derzeit unterbelichtet bleiben?

Das hängt oft an der offiziellen Statistik: Wo regelmäßig Daten umfassend erhoben und in handlichen Formaten veröffentlicht werden, lassen sich auch datenjournalistische Projekte einfacher verwirklichen – etwa zu demografischen, ökonomischen oder politischen Themen. Sobald die Datensätze umfangreicher werden oder sich nur auf einzelne Punkte beziehen, wird die Auswertung schon schwieriger. Dazu gehören zum Beispiel Umweltmessdaten. Noch seltener werden Bereiche datenjournalistisch angegangen, zu denen es noch keine Datensätze gibt, die sich aber strukturieren und analysieren ließen. Beim Stern haben wir beispielsweise den Medaillen-Spiegel bei den Olympischen Spielen mit weiteren Kategorien versehen: Welche Medaillen wurden drinnen gewonnen, welche draußen? Wie viele mit Gerät, wie viele ohne? Solche kreativen Fragestellungen ließen sich für viele andere Themen finden, da ist noch ganz viel Luft

Ganz viel Luft meint, da ist noch viel möglich und eine Menge nicht ausprobiert: Was glaubst du, wohin geht die Reise mit dem Datenjournalismus ? Welchen Stellenwert hat er derzeit im Journalismus und welche Rolle wird er noch spielen?

Momentan gehören datenjournalistische Methoden in den Medien noch ganz klar zu den Spezialtechniken. Aber das Feld wächst, langsam aber sicher. Das muss es auch, schließlich werden auch zunehmend mehr Daten öffentlich, aus denen Journalisten relevante Geschichten ziehen können und in vielen Fällen auch sollten. Wenn wir nicht in der Lage bleiben, den Output politischer Institutionen auszuwerten, verlieren wir aus meiner Sicht einen Teil unserer Legitimation. Deshalb sollten möglichst bald in möglichst allen Redaktionen auch Kollegen oder noch besser Teams arbeiten, die sicher mit Datensätzen umgehen können. Und alle anderen sollten wissen, wann es sich lohnt, diese Experten in ihre Recherchen einzubinden.

Kannst du abschließend kurz beschreiben, wie dein Workflow aussieht, welche Werkzeuge du in der Regel nutzt? Und welches Tool findest du derzeit am beindruckensten – und was für eine Art an Tool vermisst du?

Für die Auswertung von Datensätze nutze ich vor allem Software zur Tabellenkalkulation und zum Erstellen von Karten, wobei mich immer wieder die Möglichkeiten faszinieren, geografische Informationen mit Programmen wie QGIS zu verknüpfen. Wenn es darum geht, die Ergebnisse von Datenrecherchen in interaktive Formate zu übersetzen, arbeite ich in der Regel konzeptionell – außer bei einfachen Visualisierungen wie Diagrammen. Wünschen würde ich mir eine Möglichkeit, schnell interaktive Karten in einem modernen Design zu erstellen. Also quasi das Karten-Pendant zum Datawrapper. Solche Tools sind einfach klasse, um Datenthemen gerade im tagesaktuellen Bereich auch ohne allzu großen Aufwand angemessen umsetzen zu können.

Christina Elmer auf Twitter: @ChElm

Das Interview wurde schriftlich per E-Mail im Lauf des Augusts und Septembers 2013 geführt. Es steht unter einer CC:by:sa-Lizenz.

5 Gedanken zu „Interview mit Datenjournalistin Christina Elmer“

  1. Es ist sehr interessant, diese Thema ist neu für mich, vielleicht kann ich einige Fragen Stellen. Ich bin ein 30 Jahre alt Forscher in Kolumbien, Südamerika, und ich liebe die Analyse von Daten.
    1. Wo finden Sie diese Daten? Welche sind diene lieblingste Quelle? (Vielleicht eine allgemeine Antwort wird genug für mich sein, wenn es ein Geheimnis oder Private Know-How eurer Arbeit wäre)
    2. Wie Wählen sie die nächste Thema?
    3. Ver KAUFT diese Auskunft? Es sieht aus wie eine sehr interessante Arbeit, aber wenn ich deinem guten Beispiel folgen will, wie funktioniert das Geschäftsmodell?

    Ich hoffe, meine Frage vernünftig waren, andererseits werde ich froh, ein bisschen zu lernen.

    Danke sehr
    aus Kolumbien, Südamerika,

    David López
    http://investigacionyprogramacion.com

  2. Ich habe gesehen dass Sie mit der Spiegel arbeitet, so dass ist die Antwort für Frage nummer drei; aber, würde es möglich für eine Person, ein Selbsverständlich Datenjournalist zu sein? Danke sehr.

  3. Hallo David,
    ja genau, ich arbeite fest in der Redaktion – die Frage nach dem Geschäftsmodell kann eventuell der Verfasser dieses Blogs mit beantworten…? Zur Themenauswahl: Wenn wir uns Datensätze genauer anschauen, sollte das Thema an sich immer auch eine gewisse Relevanz haben. Aber es muss nicht zwingend aktuell auf der Agenda stehen. Vor allem dann nicht, wenn wir in den Daten Ansatzpunkte für neue Recherchen finden und dann Themen setzen können. Quellen sind natürlich häufig die Daten aus der offiziellen Statistik, aber grundsätzlich kommt dafür alles in Betracht, was sich strukturiert auswerten lässt.
    Beste Grüße aus Hamburg nach Kolumbien!

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