Selbsthilfe: Die vier Dimensionen des Zugmonitors

Klar, die Idee ist nicht neu: Einige Projekte widmen sich bereits der Darstellung von Transportdaten oder zeigen den Zugverkehr bzw. Daten von ÖPNV live im Internet. Von ihnen ist auch der Zugmonitor inspiriert, den die Süddeutschen Zeitung vergangenen Freitag veröffentlichte hat. Er birgt vier Aspekte, die über die reine Anwendung hinausgehen: Politik, Open Data, Verbraucherschutz und Journalismus.

Die Deutsche Bahn muss keine Angst vor Transparenz haben. Sie bringt täglich mehr als 20.000 Zugverbindungen auf die Schiene und macht dabei letztlich einen recht guten Job. Dafür will die Bahn allerdings auch stattlich bezahlt werden. Nicht nur das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ zeigt, welche gesellschaftliche Relevanz das Thema Bahn und ihr Schienennetz hat. Ist es Sache der Bahn, Gewinn zu erwirtschaften? Ist Hochgeschwindigkeit so wichtig? Oder geht es primär um ihren gesellschaftlichen Auftrag, Leute und Güter von A nach B zu bringen? Egal ob von Metropole zu Metropole oder von Kleinstadt zu Kleinstadt.

Diese Entscheidung, so denke ich, sollte den Eigentümern der Bahn überlassen werden. Und das sind keine Leute wie Hartmut Mehdorn oder Rüdiger Grube –  sondern das sind wir, die Bürger. Denn die Deutsche Bahn AG gehört schließlich noch immer zu 100 Prozent dem deutschen Staat.

Die Freigabe von Informationen bzw. deren Zurückhalten ist wesentliches Element von Politik. Der Zugmonitor trägt mit seiner politischen Komponente zur Demokratisierung des Wissens über eine bedeutende Infrastruktureinrichtung der Gesellschaft bei. Er ist eine Form von Selbsthilfe, weil etablierte Politik und staatliche Unternehmen immer noch Meilen hinter dem Potential des Internets hinterherhinken und Transparenz meist nur ein Lippenbekenntnis bleibt.

Das führt zum zweiten Aspekt: Open Data. Wir hoffen, dass der Zugmonitor veranschaulicht, was das Bereitstellen von Datensätzen der öffentlichen Hand bedeuten kann. Man denke nur an Bereiche wie Energie, Gesundheit usw. usf. – Die Bahn kann nur gewinnen, wenn sie selbst die Fahrplandaten, den Zugang zu Preis- und Buchungssystemen sowie aktuellen Zugdaten uneingeschränkt freigibt. Das dürfte ihr mehr Kunden bringen als weniger. Die Innovationen, was aus diesen Daten alles gemacht werden kann, bleibt dann nicht mehr Sache von bahninternen Abteilungen oder extern beauftragen Agenturen. Sondern die Ideen werden von dort kommen, wo die Bahn täglich millionenfach genutzt wird: Aus der Gesellschaft.

Dabei bildet der Verbraucherschutz den dritten Aspekt: Der Zugmonitor bietet einen Service, den die Bahn bislang nicht für nötig hielt, zu liefern. Die offiziellen Pünktlichkeitsstatistiken sind für den individuellen Bahnreisenden wenig hilfreich. Zudem brachte die Recherche der SZ zu Tage, was bislang meines Wissens nach nicht öffentlich bekannt war: Die auf der Website der Bahn angegebenen Verspätungsmeldungen – auf denen der Zugmonitor basiert – sind Prognosen, die in der Regel abgerundet werden. Ein Sachverhalt, den die Bahn bislang lieber für sich behielt. Sie selber und ihre Geschäftskunden dürften vermutlich Zugriff auf minutengenaue Verspätungsangaben haben. Es bleibt abzuwarten, auf welchen Informationen der angekündigte „Zugradar“ der Deutschen Bahn für Smartphones basieren wird.

Und schließlich gibt es noch den journalistischen Aspekt des Zugmonitors. Die Online- und Printredaktionen der Süddeutschen haben sich auf ein Wagnis eingelassen. Mit Echtzeitdaten dieser Art betreibt in Deutschland bis jetzt noch niemand Journalismus. Vielleicht kann sich das bislang auch nur eine überregionale Zeitung leisten. Sowohl finanziell als auch aufgrund ihrer Auflagenzahl: Die Bahn wird es sich gut überlegen, ob sie, die eine „Transparenzoffensive“ angekündigt hatte, so ein Projekt unterbindet. (Was sie allerdings beim privat betriebenen zugfinder.de bislang auch nicht gemacht hat.)

Der Zugmonitors belegt, dass sich Service und Journalismus nicht ausschließen. Die Süddeutsche hat in ihrer Printausgabe am vergangen Wochenende eine Doppelseite mit Hintergrundartikeln und Infografiken gebracht. Online ist rund um die datenjournalistische Anwendung ein Dossier mit Artikeln erschienen; dort wurden auch die zugrundeliegenden Daten veröffentlicht. Es ist auch klar, dass eine Zeitung ein kommerzielles Interesse hat (wie auch wir als Agentur). Aber sie füllt gleichzeitig eine Leerstelle und zeigt, wie mit Daten der ureigenste Auftrag des Journalismus erfüllt werden kann: die Berichterstattung.

Zuerst erschienen bei netzpolitik.org (12.3.12)

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