Warum wir einen neuen Wahl-O-Mat brauchen

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Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung hat sich seit 11 Jahren zu einem festen Bestandteil der Bundes- und Landtagswahlen etabliert. Millionen Wahlberechtigte nutzen ihn, um eine Hilfestellung für die anstehende Wahl zu finden. Es ist damit an der Zeit, den Wahl-O-Maten genauer unter die Lupe zu nehmen.

Dabei haben sich für uns einige Fragen ergeben, die uns dazu bewogen haben, ein alternatives Konzept zu entwickeln – und zwar den Wahl-Apparat:

  • Warum sind im Wahl-O-Mat einige der Formulierungen viel zu umständlich bzw. missverständlich? Formulierungen wie „Finanzstarke Bundesländer sollen schwache Bundesländer weniger unterstützen müssen.“ enthalten unnötige Verneinungen. Deshalb haben wir versucht, alle Thesen-Formulierungen zu überprüfen und wenn nötig anzupassen: https://github.com/opendatacity/wahl-apparat/blob/master/frontend/data/data.js
  • Warum „erklärt“ mir der Wahl-O-Mat nicht deutlicher, wieso er sich für welche Partei entschieden hat? Wenn man beispielsweise statt SPD die NPD „empfohlen“ bekommen hat, dann sollte man auch genau gezeigt bekommen, in welchen Thesen die beiden Parteien sich unterscheiden, was also für die Empfehlung ausschlaggebend war.
  • Wenn sich die Menschen in jeder Situation mit dem Wahl-O-Maten auseinandersetzen können sollen, etwa auch am „Stammtisch“, warum gibt es keine Optimierung für mobile Geräte, sondern nur mobile Apps, die extra heruntergeladen werden müssen? Das macht auch wenig Sinn, da der Wahl-O-Mat oft in Websites von Medienpartnern eingebunden wird. Auch wenn der Wahl-O-Mat dieses Jahr in aufgehübschter Optik erschien, scheint er webtechnologisch auf dem Stand des Konzeptionsjahres 2002 stehen geblieben.

Wesentlicher ist aber:

Wenn der Wahl-O-Mat ein so wichtiges demokratisches Werkzeug ist – über 10.5 Mio. Zugriffe zur Bundestagswahl 2013 bis zum heutigen Tag – warum liegt sein Programmcode nicht als Open Source vor?

Der Algorithmus, der demokratische Entscheidung beeinflussen kann, sollte offenliegen.

Darunter fällt auch der Aspekt, wie mit den Nutzungsdaten umgegangen wird. Dass die Daten gesammelt werden könnten, dürfte den meisten Nutzern nicht klar sein.

Im Impressum steht dazu: „Protokolliert werden: Name der abgerufenen Datei, …“ Aber im Dateinamen, also der URL, wird übermittelt, welche These gerade bewertet wurde und welche Antwort ausgewählt wurde. Jeder Klick, jede Antwort, wird übermittelt und genau protokolliert – ist das überhaupt notwendig? Es scheint so, als ob wohl wesentlich mehr gesammelt wird als nur Stichproben.

Für die einzelne Person mag das vielleicht noch ok sein. Aber was heißt das für eine Gesellschaft, wenn man die politische Meinung von Millionen von Menschen sammelt? Daraus könnten beispielsweise Parteien ihre Wahlprogramme optimieren. Die gesammelten Ergebnis wären ein mächtiger Wissensschatz.

Deswegen denken wir: Entweder sollte die Daten gar nicht erst übermittelt werden – oder die User über die Datensammlung deutlicher informiert und der Gesamtdatensatz (ohne Personenbezug) als Open Data mit allen geteilt werden.

Unser Wahl-Apparat sammelt übrigens keinerlei Daten, ist Open Source und der Code befindet sich hier auf GitHub.

9 Gedanken zu „Warum wir einen neuen Wahl-O-Mat brauchen“

  1. Da ich mir den Wahl-O-Maten vor ein paar Tagen auch genauer angeschaut hatte habe ich vielleicht eine Antwort auf die „Warum…“-Fragen. Aus dem Impressum:

    > Lizenz
    > Pro Demos, NL-Amsterdam
    > Supervision: Jochum de Graaf

    Gut möglich, dass das deutsche Team also an diverse Vorgaben gebunden ist. Könnte man durchaus auch mal bei den Machern nachfragen, die Antworten halbwegs fix (wenn auch relativ steif) auf E-Mails.

  2. Andere Thesen:
    Wäre es sinnvoll, andere, beim Apparat/O-Mat nicht auftauchende Thesen zu integrieren? Für manche Leute mögen verschiedene Punkte eine große Rolle spielen, die hier nicht berücksichtigt werden. Bestimmt nicht einfach zu lösen – wo fängt man an, wo hört man auf – aber angesichts der Tatsache, dass das Angebot so viele Menschen bei Ihrer Entscheidung unterstützt, durchaus eine Überlegung wert.

  3. Mich wundert sehr, dass die Grenzen eines Wahl-O-Mats überhaupt nicht thematisiert werden. Unhaltbare Wahlversprechen werden vom Wahl-O-Mat – nicht unbedingt vom Wähler – für bare Münze genommen. So stand die Steuervereinfachung bis hin zur „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ im Mittelpunkt der letzten Wahlkämpfe. Geschehen ist eher das Gegenteil. Gleich nach der Bundestagswahl wurden mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz neue Ausnahmen ins Umsatzsteuergesetz geschrieben.
    Die Abschaffung der Wehrpflicht war nicht Teil des Koalitionsprogrammes. Immerhin stand sie im Wahlprogramm der FDP. Initiiert hat sie dann ein CDU-Minister.
    Die „Energiewende“, so wie sie heute propagiert wird, stand nicht in den Wahlprogrammen von CDU/CSU und FDP und war auch nicht Teil der Regierungserklärung. Im Gegenteil.
    Sehr viele weitere Beispiele aus allen Politikbereichen ließen sich anführen. Fazit: Zwischen Wahlprogrammen und Regierungshandeln gibt es einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied. Ein Wahl-O-Mat kann deshalb höchstens ein Einstieg in die Diskussion sein. Belastbare Ergebnisse liefert er nicht.

  4. Ich glaube hier wurde der Wahl-O-mat nicht verstanden.
    1. Soll er nicht für einen entscheiden, was man wählt, sondern Ausgangspunkt für weitere Informationen sein.
    2. Grundlage sind die Wahlprogramme. Dass in einem politischen System, in dem es immer Koalitionen gibt, nicht alle Wahlversprechen gehalten werden, ist ja klar. Und dass in Wahlprogrammen Versprechen drin stehen, die eh keiner halten will, dass sollte man den Parteien vorwerfen und nicht dem Wahl-O-Mat-Machern.
    3. Was die Überprüfung der Vorschläge angeht. Zum einen ist doch ganz deutlich, dass es um prozentuale Übereinstimmung geht. Man kann schließlich noch mal zu jeder These noch mal nachlesen, was die einzelnen Parteien dazu gesagt haben. Da muss man den Algorithmus nicht kennen, da erkennt man so, warum man die eine oder andere Partei vorgeschlagen bekommt.
    Und der Satz „Der Algorithmus, der demokratische Entscheidung beeinflussen kann, sollte offenliegen.“ ist auch peinlich. Demnach müsste auch der Algorithmus aller Suchmaschingen offengelegt werden, denn wenn ich da ein politisches Thema suche, bekomme ich ja auch nur bestimmte Seiten gezeigt. Und wenn wir schon dabei sind, müssten auch alle Journalisten offenlegen, warum sie über politische Themen so oder so schreiben, denn auch das beeinflusst ja demokratische Entscheidungen.

    1. Hallo Melanie,

      Der Wahl-O-Mat soll in der Tat nicht entscheiden, was man wählen soll. Die BPB weißt darauf mehrfach hin.

      Als Informationsangebot beeinflusst er aber sehr wohl die Wahlentscheidungen, schon allein dadurch, dass er Parteien und weitere Informationen „empfiehlt“. Dies tut er auf der Basis eines Empfehlungsalgorithmus. Falls dieser Empfehlungsalgorithmus einen „Bug“ hätte, könnten bestimmte Parteien systematisch seltener empfohlen werden und somit im Rahmen des Informationsangebotes benachteiligt werden.
      Um Fehler, unerwünschte Seiteneffekte oder allein schon die Grenzen des Algorithmus erkennen zu können, sollte solch ein Algorithmus offen liegen.

      Ich fordere ja dafür nicht die Einrichtung eines nationalen Expert_innen-Gremiums, sondern dass einfach der Code mit Dokumentation veröffentlicht wird, so dass jede_r ihn analysieren kann.

      Dass den Leuten klar sei, wie die Vorschläge entstanden sind, muss ich klar widersprechen. Ich habe mit mehreren unbedarften Nutzer_innen gesprochen, die die Vorschläge nicht oder nur sehr schwer nachvollziehen konnten. Unser Ansatz, die Antworten der Parteien mit kleinen Punkten an den Formular-Buttons zu markieren, scheint dagegen den Nutzer_innen beim Vergleichen sehr zu helfen.

      Zum letzten Punkt:
      In der Tat ist es sehr schwierig, Entscheidungsprozesse in Journalismus, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, etc. transparent offen zu legen. Schon allein, weil viele Entscheidungsprozesse im Nachhinein gar nicht nachvollzogen werden können.
      Sobald aber Entscheidungen von Algorithmen getroffen werden, könnten sie sehr wohl transparent gemacht werden. Man kann dem Entscheidungsträger (dem Algorithmus) förmlich „in den Kopf schauen“ und „beim Denken zuschauen“. Das ist einer der großen Vorteile von Algorithmen.

      Sobald Algorithmen Entscheidungen mit gesellschaftlicher Relevanz treffen, sollte sich die Gesellschaft dafür einsetzen, dass solche Algorithmen offengelegt werden. Ja, ich spreche dabei auch von Suchmaschinen, Aggregatoren, Nachrichten-Filtern, Schufa-Kreditscoring, Trading-Algorithmen, „Gefahrenerkennung“ (Nacktscanner, PRISM, …), Mietspiegel, uvm. … und auch vom Wahl-O-Mat.

      1. Ich finde die Fixierung auf Algorithmen in diesem Fall dennoch übertrieben, denn wenn man sich die Einflußfaktoren auf Wahlentscheidungen anschaut, dann sind die Medien mit Sicherheit einflußreicher und die auf die Medienberichterstattung einwirkenden Faktoren für den Nutzer wesentlich undurchschaubarer als der Wahl-O-Mat. Schließlich kann ich da jede Position mit der Position jeder Partei abgleichen und mir so eine eigne Meinung bilden. Beim TV-Duell wiederum, das von mehr Menschen geschaut wurde als den Wahl-O-mat genutzt haben, weiß ich nicht, warum die Journalisten welche Fragen stellen, welche parteipolitischen Präferenzen sie haben oder ob sie nicht von irgendwelchen Interessensgruppen beeinflusst sind. Ich weiß nicht mal, warum welche TV-Anstalt, welchen Moderator ausgewählt hat. Und das TV-Duell ist nur ein Beispiel. Wenn man sich all die Talkshows – von Jauch bis Ilner etc. – anschaut, dann weiß ich da eben auch nicht, warum da bestimmte Politiker sitzen, wer die nach welchen Kriterien auswählt und warum die Moderatoren bei bestimmten Aussagen eingreifen und bei anderen Platitüden durchgehen lassen.
        Die Begründung, es wäre möglich den Algorithmus offen zu legen, und daher müsse man es auch machen, reicht mir nicht.
        Hat da eigentlich mal jemand bei der Bundeszentrale nachgefragt?
        Der Wahl-o-mat wird übrigens wissenschaftlich begleitet, wie ich gerader herausgefunden habe – http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/wahl-o-mat/online-befragungen/
        Vielleicht die mal kontaktieren und nachfragen, was mit den Daten gemacht wird.
        Und wie sieht es mit den anderen Wahltools aus? Gibt da ja ne Menge von.

  5. Die wissenschaftliche Begleitung des Wahl-o-mats verbleibt jedoch auf einem eher deskriptivem Niveau. Fragen zu den Thesen werden nicht ausgewertet, was aber Hinweise darauf liefern könnte, inwiefern die Fragen richtig ausgewählt und formuliert wurden. [Ich für meinen Teil finde einige Fragen zu vereinfachend, so dass ich diese Thesen dann überspringe, obwohl ich eine prononcierte Meinung zu dem Thema habe, die sich auch bei einigen Parteien widerspiegelt.] Ebenso fand ich ad hoc keine Berichte, inwiefern von der Gewichtung Gebrauch gemacht wurde, nach welchen Methoden die „Übereinstimmungsparteien“ ausgewählt worden sind usw. usf. Dem Wahl-o-mat kommt in der Öffentlichkeit eine sehr große Bedeutung zu (da er im Gegensatz zu den Medien quasi Wahlentscheidungen nahelegt), so dass eine transparente und fundierte Darstellung durchaus angemessen erscheint.

    Der Wahl-o-mat wird übrigens wissenschaftlich begleitet, wie ich gerader herausgefunden habe – http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/wahl-o-mat/online-befragungen/

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