Was ist eigentlich Roboterjournalismus? Teil 1: Was die Softwaremaschinen können werden

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Auch das noch: Ein weiterer Journalismusbegriff. Nach Daten, Drohnen- und Sensorjournalismus kommt jetzt auch noch Roboterjournalismus. Bei ihm dreht es sich um Software, die in Teilbereichen des Journalismus selbstständig Artikel und Berichte erstellt. Vornehmlich  wird er im Nachrichtenjournalismus, der Berichterstattung stattfinden – und nicht bei Analyse, Kommentar, Interview und Investigation. Bislang geschieht solcherlei nur experimentell, etwa bei Forbes. Doch bis 2020 dürften nicht wenige Jobs im Journalismus von Maschinen erledigt werden.

Warum dem so ist, will ich hier darstellen. Der erste Teil skizziert, welche Arbeit Roboterjournalisten übernehmen werden. Im zweiten Teil werde ich begründen, warum das nicht nur vage Science Fiction ist. Man mag sich streiten, ob Roboterjournalismus als Begriff taugt. Angesichts einer bislang mangelnden Alternative wird er hier für Algorithmenmaschinen, die komplizierte Arbeitsschritte in einem gewissen Grad autark erledigen können, verwendet.

Roboter als Assistent

In der ersten Phase werden Roboter redaktionelle Assistenz leisten: Automatisierte Recherche, Faktenüberprüfung, Scannen von Social Media und Sensornetzwerken; Mitlesen-, -hören, -schauen von Websites, Radio- und TV-Sendern. Entsprechend werden sie in den Redaktionssystemen Gerüste für Beiträge anlegen, die schon Fakten, Satzbausteine, Zitate und Links enthalten (Bsp.: Quakebot der L.A. Times, siehe unten). Denkbar ist auch, dass während ein Autor an einem Beitrag arbeitet, Software das bislang Verfasste interpretiert und entsprechend ständig weiteres Material sowie Satzbausteine heranschafft. Software wird zudem auch Bilder vorschlagen, schlichte Diagramme kre­ie­ren, Karten- und Videoausschnitte bereit stellen. Ein weiteres Einsatzgebiet der Assistenz werden Live-Ticker und Plattformen wie Storify sein.

Nachrichtenagenturen liefern ihre Texte schon recht strukturiert aus, z.B. als NewsML; diese zuzuschneiden und in ein Redaktionssystem einzupassen, ist technisch einfach, weil inhaltlich gar nichts erfasst werden muss. Doch das alleine wäre schlicht Automatenjournalismus. Doch Spracherkennung (man schaue sich die automatisierte Untertitelung englischer Beiträge bei YouTube an) wird immer besser – Politikerreden bei Phoenix, im Bundestag-TV oder andere Streams zu monitoren, kann Software übernehmen. Mittels semantischer Verfahren, Vergleiche mit anderen Reden aus Archiven, aber auch durch Auswertung der Resonanz bei Social Media wird sie die Kernaussagen von Reden identifizieren. Damit liesse sich der weiterverbreiteten “Verlautbarungsjournalismus”, der mehr oder minder unterhinterfragt Ausschnitte aus Pressekonferenzen wiedergibt, automatisieren.

Die zweite Phase im Roboterjournalismus wird dann eintreten, wenn die semantischen Fähigkeiten der Algorithmen so weit gediehen sind, dass sie in brauchbarer Qualität Beiträge für eine Vielzahl von Themenbereichen erzeugen können. Die kontrolliert dann noch ein Mensch vor Veröffentlichung und greift ggf. sprachlich etwas ein. Je mehr Informationen über Schnittstellen (API) daherkommen, je mehr Vorgänge gemessen und in Metriken beschrieben werden, um so mehr Bereiche der Berichterstattung werden sich automatisieren lassen. Und die Software wird immer besser werden, weil sie lernt. Wie gesagt, es wird nicht zu dem vielgerühmte Qualitätsjournalismus per Roboter kommen; aber für das, was heute im alltäglichen Nachrichtengeschehen als Journalismus gilt, wird es allemal reichen.

Individualisierung

Der Clou an Roboterjournalismus ist, dass er Inhalte on-the-fly erzeugen und ständig aktualisieren kann: Individualisierung von Nachrichten wird so auf einem völlig anderen Niveau möglich. Nutzer erhalten anhand ihrer Schwerpunktsetzung auf ihre Hausnummer genau zugeschnittene Nachrichten. Ratsinformationssysteme ihrer Gemeinde, Pressemitteilungen, Agenturticker, Sportergebnissen, Terminkalender, Transkription von Radio, Fernseh- und Videobeiträgen, Wetter- und Verkehrssensoren in ihrer Umgebung usw. usf. werden dafür ausgewertet. Anhand dessen werden kurze Berichte verfasst und sie ggf. illustriert. Durch Sprachsynthese geht das ganze auch als Podcast. Solche Audiostücken können wiederum automatisiert mit Bewegtbild, Fotos und Grafiken zu Videos zusammengeschnitten werden.

Bislang fehlen hierzulande noch die Softwareanbieter, die Roboterjournalisten im Programm führen. Im englischsprachigen Raum sind Narrative Science und Automated Insights in diesem Bereich unterwegs. In dem Zusammenhang sei auf einen Bericht über eine neulich veröffentliche Studie verwiesen, in der es  um einen Vergleich zwischen computergenerierten und von Menschen geschriebene Texte ging.

Auch im deutschsprachigen Raum dürfte es bald Anbieter von solcher Software geben; die Technologie ist zumindest in Ansätzen vorhanden, etwa im Bereich „Business Intelligence“ oder bei Kanzleissystemen. Die Qualität der Roboterjournalist-Software, der Engine, die sich ein Medienanbieter leistet oder selbst entwickelt, wird ein Kriterium sein, welche Rolle er im Nachrichtenbereich spielen wird. Neben Anbietern von Technologieplattformen (Middleware) dürften sich hier auch neue Player etablieren, die keinen klassischen Verlag im Rücken haben. Ebenso können Medienmarken aus anderen Sprachräumen mittels Roboterjournalisten einfacher Sprachbarrieren überwinden.

Rein betriebswirtschaftlich wird sich das Ganze ab einen bestimmten Preispunkt lohnen. Impuls könnte dafür hierzulande nicht zuletzt auch der Mindestlohn sein, weil sich in der eh klammen Branche die Anschaffung von Roboterjournalisten-Software lohnt. Eine neue Stufe der Automatisierung durch Algorithmen und Roboter ist selbstredend nicht auf den Journalismus beschränkt; vielmehr wird dieser Wandel viele Branchen erfassen. Das sieht jedenfalls eine Studie (pfd) aus dem vergangen Jahr über „computerisation“ in 700 Berufen in den USA so. Über sie berichtete The Economist Anfang diesen Jahres in dem Beitrag „The Future Of Jobs: The Onrushing Wave“.

Manche werden das Gerede vom Roboterjournalismus als Technologieoptimismus bzw. -pessimismus abtun. Dennoch denke ich, dass sich Journalisten und Verlage jetzt damit auseinandersetzen sollten. Denn es sich zeichnet sich ein Technologieschub in Sachen „künstlicher Intelligenz“ ab. Mehr dazu im zweiten Teil.

Ergänzende Links:

How to break news while you sleep – by Ben Schwenker – Link

PBS Mediashift: Will Robots Take Over Simple Tasks for Journalists? – Link

2 Gedanken zu „Was ist eigentlich Roboterjournalismus? Teil 1: Was die Softwaremaschinen können werden“

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