Zum Verzweifeln: Deutsche Medien und die Krise in der Ukraine – inkl. einer kleinen Linksammlung – UPDATE

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UPDATE 5.5.2014 und Linksammlung weiter unten.

Warum scheinen eigentlich zahlreiche Medienmacher und -häuser in den letzen Monaten wie durchgedreht, wenn es um die Ukraine geht? Ist es wirklich so schwer, neutral (also unparteiisch) zu bleiben, Distanz zu halten, mit dem gebotenen Zweifel offiziellen Verlautbarungen aller Seiten und Gerüchten zu begegnen?  Ist es zuviel verlangt, dass erst Analysen und Bewertungen vorgenommen werden, wenn es dafür eine ausreichend recherchierte Basis gibt und auch genug Sachkenntnis vorhanden ist?

Beispiel: Wenn ich einen Artikel lese, wie heute (28.4.) diesen hier auf süddeutsche.de, fällt mir nicht mehr viel ein. Ist das Absicht oder Unfähigkeit? Im Vorspann des Beitrags heißt es:

„Die in der Ukraine entführten Militärbeobachter waren offiziell im Auftrag der OSZE unterwegs, um das ukrainische Militär zu beobachten“.

Im selben Beitrag wird auf ein ORF-Interview mit dem Vize-Chef der Krisenprävention der OSZE vom 25.5.2014 – dem Tag der Festsetzung des Teams – verlinkt; gleich eingangs sprach der Folgendes:

„Ich muss aber auch sagen, dass es sich genau genommen nicht um Mitarbeiter der OSZE handelt, sondern es sind Militärbeobachter, die dort bilateral unter einem OSZE-Dokument tätig sind“.

In besagtem Artikel ist auch richtigerweise nur die Rede von „europäischen Militärbeobachtern“ und es wird der Hintergrund der Mission erläutert, die eben nicht im Auftrag der OSZE unterwegs war. Hier hat wahrscheinlich ein Redakteur einen Autorenbeitrag mit einem Vorspann versehen (online zumindest, in Print auch?). Fragt sich, ob es Kalkül oder schlicht Sorglosigkeit ist, dass in so einer aufheizten Stimmung so ungenau gearbeitet wird. Die Süddeutsche ist in diesem Fall wie gesagt nur ein Beispiel; ein Blick auf Google News zeigt, dass viele Redaktionen von „OSZE-Mitarbeitern“ bzw. „Beobachtern“ sprechen.

Offenbar wird hier auch gutgläubig dem Verteidigungsministerium nachgeplappert, das heute verlauten ließ:

„Seit 25. April werden Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Slawjansk, im Osten der Ukraine, gegen ihren Willen von separatistischen Kräften festgehalten, darunter auch vier Deutsche Staatsangehörige“.

Dabei hatte die OSZE bereits abends am 25.4.2014 getwittert: „1/4 Comms with military observers in Donetsk region lost. Team not OSCE monitors but sent by States under Vienna Doc on military transparency“

Warum haben das die angeblichen „Qualitätsmedien“ in den letzten drei Tagen nicht geklärt; warum wird das Verteidigungsministerium nicht konfrontiert? Genau dafür sind Journalisten dar; ich will keine Progaganda von welcher Seite auch immer – vielmehr: Die immer weitergehende Suche nach der größtmöglichen Wahrhaftigkeit, die Darstellung der vielschichtigen Interessen, vielleicht auch vorsichtige Einschätzungen und Prognosen – ich will aber auch, dass Journalisten und Medien Zurückhaltung demonstrieren und kommunizieren, wenn (Selbst-)Zweifel und Unklarheit herrscht.

Vielleicht ist es an der Zeit, den verbrauchten Spruch von „Journalisten machen sich mit keiner Sache gemein“, neu zu definieren: „Journalisten und Journalistinnen – macht euch mit keiner Institution gemein“.

UPDATE 5.5.2014:

Es gab ein Interview mit dem Leiter der Militärbeobachter-Delagation, Alexander Schneider, am 23.4.2014 im Bayerischen Rundfunk (BR1-Radio) – zwei Tage vor der Entführung. Im dem Interview fällt kein einziges Mal das Wort OSZE.

Das Wiener Dokument von 2011 (pdf), eine Vereinbarung der OSZE, diente als Grundlage für die Militärinspektion. Laut Bundesregierung (Pressekonferenz 28. April 2014) hieß es:

Die rechtliche Grundlage für diese und die anderen Beobachtermissionen seit Anfang März in der Ukraine sind das Kapitel X des Wiener Dokuments – Regionale Maßnahmen – und dabei insbesondere der Artikel 144.9 des Wiener Dokuments von 2011 über die Vereinbarung von zusätzlichen Inspektions- und Überprüfungsbesuchen.

In dem Kapitel X heißt es auch, dass diese Besuche mit dem Wiener Dokument im Einklang stehen müssen (Abs. 142.6). Dort wird ab Absatz 74 die Regeln für Inspektionen bzw. ab Absatz 107 „Überprüfungen“ geregelt. Gegen die Maßgaben dort scheinen die Militärinspekteure unter Leitung der Bundeswehr in einigen Punkten verstoßen zu haben. Siehe dazu Zeit Online: Sieben Militärbeobachter und viele Fragen (5.5.2014). Letzterer Text stammt von Thomas Wiegold, der das Blog „Augen geradeaus“ über „Bundeswehr, über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ betreibt und dort derzeit auch immer wieder über die Ukraine berichtet.

Liste der OSZE (28. März 2014): „Comparative table: Different forms of OSCE engagement with Ukraine“

Die Süddeutsche berichtet heute am 5.5.2014, dass die Soldaten der Bundeswehr aus dem Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw) dort von deutschen Geheimdiensten beraten worden wären. Der BND betreibe eine „geheime Außenstelle“ auf dem Stützpunkt im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen. Unbeirrt redet die SZ auch in diesem Beitrag weiterhin von „OSZE-Beobachtern“.

—  Linksammlung —

  • Eine Anmerkung zur angeblichen OSZE-Mission in der Ukraine
    – Thomas Stadler, 4. Mai 2014 – Link
  • Der Medien-GAU von Odessa – Richard Zietz, 4. Mai 2014 – Link
  • Das Netzwerk der transatlantischen Journalisten – Daniel Bröckerhoff, 3. Mai 2014 – Link
  • Die Krim, die bösen Russen und der empörte Westen – August Pradetto, April 2014 – Link
  • Meinungskluft um die Ukraine – Malte Daniljuk, 25. April 2014 – Link
  • Interview mit Gabriele Krone-Schmalz – NDR/Zapp, 16. April 2014: VideoTranskript
  • Immer auf Putin? – Breite Kritik an Medien – Zapp, 16. April 2014 – Link
  • Auf Kriegsfuß mit den Lesern – Paul Schreyer, 15. April 2014 – Link
  • Diffamiert als „Russlandversteher“ – Ingo Schulze, 31. März 2014 – Link
  • Ein-Mann-„Brüllkommando“ in der Zwitschermaschine
    – Matthias Dell, 11. März 2014 – Link
  • Ukraine-Konflikt: Wir sind die Guten – Stefan Korinth, 6. März 2014 – Link

5 Gedanken zu „Zum Verzweifeln: Deutsche Medien und die Krise in der Ukraine – inkl. einer kleinen Linksammlung – UPDATE“

  1. Man kann sich beim BR ein Interview mit Herrn Schneider anhören kurz vor der Festnahme. Da beschreibt er was ihre Aufgabe ist und es bestätigt nun mal genau die offizielle Information. Manche Leute wie Sie sprechen Kiew allee Rechte ab und finden hunderte Rechtfertigungsründe für das Anderer. Sind sie unvoreingenommen? Ihre Frage nach ausbalancierter Information nehme ich Ihnen nicht ab.
    Warum hören Sie sich dieses Interview denn nicht an und schreiben erst dann? Auf ihre Antwort bin ich gespannt!

    1. Danke für Ihren Kommentar. Sie meinen vermutlich den Beitrag vom 23.04.2014 im BR namens „Sehr überraschende Befunde“. Was bestätigt Ihrer Meinung nach in dem Beitrag „die offizielle Informationen“? Das Kürzel „OSZE“ fällt in dem Radiostück an keiner Stelle, auch nicht seitens Axel Scheider, und gleich eingangs spricht die Moderatorin von einer „Delegation der Bundeswehr für vertrauensbildene Maßnahmen“.

  2. Vielen Dank für diesen Artikel, Herr Matzat. Ich machte mir schon Sorgen, nur ich als normaler Mediennutzer denke so. Die Ukraine-Krise wird viele Online-Medien an Reputation kosten. Das aktuellste Medium versagt mehr denn je. Mittlerweile lasse ich die Online- Medien außen vor. Die Aktualität in der Ukraine-Krise hat eine schnelle Halbwertzeit, dazu noch schlampig recherchiert, man kann es sich sparen. Um ein Bild zu erhalten, reicht einmal am Tag eine Zusammenfassung im Radio. Wenn möglich bei verschiedenen Sendern.

    Zu ihrem Thema konnte ich endlich erst heute mittag im DLF eine plausilbe und sachliche Information erhalten. Eine unter OSZE Papier übliche bilaterale Mission wurde von der Urkaine gewünscht. Lediglich auf der Krim setzte Rußland ein Veto ein, da die Krim nicht mehr ukraiinisches Staatsgebiet sei. Die besagte Mission läuft seit ca. 6 Wochen, wechselnd auch mit deutscher Beteiligung. Die Gruppen wechseln wöchentlich, auch deren Leitung. Die aktuelle Gruppe war unter dänischer Leitung. Gefangengenommen wurde die Gruppe nicht in Slavjansk, sondern außerhalb. Erst dann wurden sie nach Slavjansk verschleppt. Eine Inspektion in Slavjansk war auch nicht geplant, da die Lage für die Beteiligten zu unsicher schien.

    Betrachten wir nun, was die Medien daraus gemacht haben, was sie damit anrichten und vergessen es am besten gleich wieder.

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