Skizze einer Innovationsförderung für Journalismus

Wie sich 10 Prozent der geplanten 220 Millionen-Förderung für Presseverlage sinnvoll ausgeben ließen

Es lässt sich darüber streiten, was Innovation im Journalismus eigentlich bedeutet. Das will ich an dieser Stelle aber nicht tun, sondern auf die Diskussion des Begriffs in der Studie „Die Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland“ der Landesmedienanstalt NRW aus dem Sommer 2020 verweisen (S. 8ff.). Dort wird vor allem auch auf die „Produktinnovation“ eingegangen, die so umrissen wird: „Veränderungen bei den am Markt angebotenen Produkten und Dienstleistungen des Journalismus, die für Kundinnen und Kunden sichtbar und nutzbar sind“.

Ich habe in den letzten zehn Jahren an einer Handvoll Firmen und dann noch nicht gestarteten Vorhaben, die man zum Bereich der journalistischen Produktinnovation zählen könnte, mitgearbeitet. Während bei mir am Anfang eher Enthusiasmus in Paarung mit Blauäugigkeit und Ahnungslosigkeit über Business und Branche bestimmende Faktoren waren, wandelte sich mein Enthusiasmus in späteren Jahren mehr hin zu Ernüchterung: Die Innovationsbehäbigkeit in geraumen Teilen der Sender- und Verlagsbranche plus einer kargen Förderlandschaft bildeten zumindest für mich nicht das Ökosystem, in dem ich mich weiter unternehmerisch betätigen wollte (eine Bestandsaufnahme der Branche und Fördersituation liefert oben genannte Studie). So skizziere ich im Folgenden ein Förderprogramm auf Basis meiner Erfahrungen und dem, was ich von Kolleg*innen über deren (z.T. gescheiterten) Vorhaben mitbekommen habe.

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Interview: „Spezialisten sind rar“

Der „Drehscheibe“ (aus Lokalredaktionen für Lokalredaktionen) habe ich ein Interview zum Thema Automatisierung im Lokaljournalismus gegeben (Anlass war ein Text von mir von 2017). Auszug aus dem Interview:

Was sind die größten Hindernisse für die Verlage, voll in den Datenjournalismus bzw. die Automatisierung einzusteigen?

Wagnisbereitschaft und Talente. Die erfolgreiche Formel, wie solch ein Dienst aussehen könnte, hat bislang niemand gefunden – sonst würden wir davon sicher zahlreiche Varianten sehen. Wirklich neue Formate zu entwickeln, würde zum einen Wagnisbereitschaft und Investionsausdauer für einige Jahren bei den Verlagen erfordern. Und es bräuchte dafür die Kompetenzen. Sowohl in den Führungsetagen, um so etwas zu ermöglichen und fördern – als auch in den Redaktionen. Die Ausbildungsmöglichkeiten, die Spezialisten für den Journalismus im Zeitalter der digitale Transformation liefern könnten, sind in Deutschland rar. Die wenigen Talente in dem Sektor, die sich meist aus Eigeninitiative heraus profilieren konnten, machen Karriere bei den wenigen Häusern, die so etwas sowohl wertschätzen als auch entsprechend interessante Herausforderungen anbieten. Dieser ‚brain drain‘ lässt für Regional- und Lokalzeitungsverlage wenig übrig.

Das komplette Interview gibt es hier.

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Automatisier' Dich, Lokaljournalismus

Die Stärke des Lokaljournalismus lag immer auch in einer groben ortsbasierten Personalisierung. Im Digitalen nutzt er die vielfältigen Möglichkeiten dafür kaum. Das liegt wesentlich am Print-Paradigma, das sich in den Content Managment Systemen (CMS) manifestiert und Weiterentwicklung verhindert. Stattdessen braucht es Herangehensweisen, die kleinteilig Alltagsinformationen in einzelne Datenpunkte zerlegt und abrufbar macht.

Manchmal träume ich davon, es gäbe zeitgemäßen Lokaljournalismus. Als digitalen Service, der mir morgens oder ad hoc punktgenau wesentliche Informationen für den Alltag bezüglich meines Wohn- und Arbeitsorts mitteilt. Der mich über die Verkehrssituation (S-Bahnausfall in der ganzen Stadt), Politik (Hotelneubau in deiner Nachbarstraße beschlossen), Kultur (Theaterstück X läuft kommende Woche zum ersten Mal), Infrastruktur (Sperrung des Schwimmbads wg. Renovierung), Angebote (Supermarkt an der Ecke: 10% auf alles), Bildung (wieder Kitaplätze frei), Nachbarschaft (wer hilft mit bei Renovierung des Grillplatzes), Sport (die B-Jugend hat 3:5 verloren), Alltag (morgen ist Sperrmüll) usw. usf. informiert. Gerne darf dieses Angebot auch „lernen“, was mich interessiert und mich auf Hintergrundstücke sowie Reportagen mit weiterem lokalen Bezug hinweisen.

Es ist schwer verständlich, warum Lokalzeitungen immer noch nicht hyperlokale oder sublokale Angebote dieser Art anbieten: Ein personalisierter Bericht – egal ob per Mail, App, Website, Messenger, Spracherzeugung (z.B. Amazon Echo) übermittelt. Die Daten dafür sind vorhanden, mehr und mehr davon. Aus ihren Strömen lassen sich kurze und knappe Informationshappen straßen- und interessengenau automatisch generieren. Es wird wahrlich keine Raketentechnologie mehr dafür benötigt, um klein damit anzufangen.

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Die unterschätzte Ressource: Wie sich die OpenStreetMap für Journalismus nutzen lässt

Nach einem Überblick über die reichhaltige Datenquelle für geographische Informationen werden Nutzungsszenarien skizziert und einige Tools sowie Anwendungen vorgestellt. Schließlich wird ein Karteneditor präsentiert, an dem der Autor derzeit arbeitet.

Eine Antwort auf diese Frage lautet: Die Basis dafür kann nur die OpenStreetMap sein. Es ist eine der faszinierendsten offenen Datenquellen, die sich im Netz finden lässt. Die OpenStreetMap, 2006 gestartet, ist nach der Wikipedia das wohl größte gemeinschaftliche Werk, das das Netz hervorgebracht hat. In derzeit knapp 740 GB Rohdaten (XML äquivalent) liegt wahres Open Data vor – genauso frei für die kommerzielle Nachnutzung wie für gemeinnützige und private Zwecke (OpenDatabaseLicense, ODbL). Es gibt diverse daran angeschlossene Projekte, die Schwerpunkte etwa auf Fahrradfahrer, ÖPNV oder die Nutzung auf See legen.

Wikipedia für Geoinformation

Wie gelangen Informationen in die OpenStreetMap (OSM)? Jeder kann sich wie bei der Wikipedia einen Account bei der OSM anlegen und Daten beitragen sowie ändern. Neben automatisierten Importen von offenen Daten (zum Beispiel die Hausnummern Berlins) lassen sich manuelle Änderungen vornehmen. Oder Aufzeichnungen aus GPS-Geräten können importieren und die so gesammelten Punkte und Linien entsprechend markiert werden. Im Wiki der OSM ist die komplexe Taxonomie des Projekts nachzuvollziehen, die sich in ständiger Weiterentwicklung und Verbesserung durch tausende Freiwillige befindet. Die OpenStreetMap ist international über eine Stiftung mit Sitz in UK organisiert. Die „Wochennotizen“ des deutschsprachigen OSMblog vermitteln einen guten Eindruck der vielfältigen Aktivitäten rund um OSM. Und bei learnosm.org findet sich in diversen Sprachen eine ausführliche Einführung für die Mitarbeit an der freien Weltkarte.

Alle Änderungen der OSM lassen sich nachvollziehen (sogar live). In kurzer Zeit, üblicherweise nach einigen Minuten, sind die Änderungen auf der zentralen OpenStreetMap-Karte openstreetmap.org zu sehen. Die Datenbank, aus der sich jeder bedienen darf, die „planet.osm“ erfährt einmal pro Woche ein Update.

Es hilft sich zu verdeutlichen, dass eine Kartendarstellung eine Datenvisualisierung ist. Doch mit Geodaten lässt sich selbstredend einiges mehr anstellen als sie nur zu visualisieren: Das fängst damit an, Streckenführung für Navigationsgeräte zu errechnen (Routing) oder Flächenberechnung für statistische Zwecke vorzunehmen (per Geoinformationssystem, GIS). Einen eigener Artikel wert wäre das Potential, das derzeit durch das Wikidata-Projekt entsteht: Es verknüpft die Inhalte der OSM mit der Wikimedia (Wikipedia, Wikivoyage usw.) zu „Linked Data“.

Im journalistischen Kontext dürfte dem Kartenmaterial auf OSM-Basis derzeit allerdings am meisten Bedeutung zukommen. Das folgende Beispiel zeigt Karten von Google und OSM (per Griff in der Mitte lässt sich der Slider nach rechts und links bewegen). Zu sehen ist die Position des so genannten Jungles im französischen Calais, der bis vergangenen Herbst immer wieder in den Nachrichten auftauchte: Über einige Jahre hinweg hatten sich in einer improvisierten Siedlung zeitweise tausende Geflüchtete aufgehalten, um über den nahen Eingang des Eisenbahntunnels nach Großbritannien eben dorthin zu gelangen.

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Die betretbare Infografik

Wie wir Virtual Reality im Lokaljournalismus einsetzen wollen

Seit Ende vergangenen Jahres arbeiten wir an einem Virtual Reality-Projekt zum geplanten Autobahnausbau in Berlin. Wir denken, VR ist ein großartiges Medium für die Auseinandersetzung mit städtebaulichen Vorhaben. Denn es lässt eine Situationen weit vor der eigentlichen Realisierung räumlich erfahrbar machen. Insofern sollte man VR nicht nur als „Empathie-Maschine“ verstehen, sondern eben auch als Zeit- und Raummaschine.

 [Article in English]

Mit unserem Vorhaben „A100 VR“ wollen wir zeigen, wie der 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn ausschauen könnte. Wir setzen dafür ein 3D-Stadtmodell der deutschen Hauptstadt ein und kombinieren 360-Grad Fotos mit computergenerierten Bildern. Es geht also nicht um einen 360 Grad-Film, sondern wir realisieren ein non-lineares interaktives Stück auf Basis von 3D-Grafik.

Das besondere an besagtem Bauabschnitt ist, dass er durch einen dicht besiedelten Teil von Berlin führen soll; knapp ein Kilometer davon als doppelstöckiger Tunnel, der in einer recht engen Wohnstraße wohl von oben im Boden versenkt werden soll. Zwar ist der Baubeginn nicht vor 2022 zu erwarten (wenn überhaupt, denn er ist wie der Autobahnausbau zuvor umstritten). Doch dürfte eine endgültige Entscheidung über seinen Bau deutlich früher fallen.

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Das Gegenteil von Ambition: ze.tt und bento

Selbstredend ist es legitim, dass der Zeit Verlag und die Spiegel Gruppe Angebote wie ze.tt und bento starten. Es ist ihre Aufgabe, neue Erlösmodelle zu finden, sich Zielgruppen zu erschließen oder warm zu halten. Bis heute scheint es mir, dass viele Journalisten immer noch glauben, ihr Gehalt fiele vom Himmel (obwohl das bei den Öffentlich-Rechtlichen gewissermassen stimmt). Was auf der verqueren Annahme beruht, Journalismus hätte nichts mit Unternehmertun zu tun und journalistische Werke seien keine Produkte, die sich auf einem Markt behaupten müssen.

Sich bei gut gehenden Vorbildern konzeptionell zu bedienen, Stichwort Buzzfeed, ist ebenfalls legitim. Letztlich hat ja auch niemand ein Patent auf das Konzept Tageszeitung.

Man kann die vorliegenden Ergebnisse nun für “Journalismus für Dumme” halten und auch konzeptionell für falsch. Allerdings denke ich, dass Zeit Verlag und Spiegel Gruppe nicht blauäugig in so etwas investieren, sondern sich dabei schon etwas gedacht und in diesem Fall vor allem ausgerechnet haben. Durchschnittszahlen über die durch einzelne Mitarbeiter erwirtschafteten Umsätze zeigen auf, worum es gehen dürfte: Maßgeblich sollen ze.tt und bento Trägermedien, Gerüste für “Native Advertising”  sein. Darauf weist nicht zuletzt der lange Eintrag im FAQ-Abschnitt „Finanzierung“ bei bento hin. In dem wird detailliert auseinanderklamüselt, was unter diesem Werbeformat zu verstehen sei.

Kein Hauch einer eigenen Idee

Was mich allerdings mal wieder frappiert: Wie umambitioniert hier zu Werke gegangen wird. In keinem der beiden Produkte ist auch nur ein Hauch von einer eigenen Idee zu entdecken, die das Konzept von Buzzfeed & Co weiterdreht. Es gibt, soweit ich das überblicke, nicht mal ansatzweise interaktive Stücke, den Einsatz von Landkarten und Datenvisualisierungen. Im Jahr 2015 werden komplett neue Redaktionen geschaffen, ohne offenbar auch nur einen einzigen Webentwickler ins Team zu holen. Und selbst ohne einen Entwickler könnte man sich den zahllosen Tools bedienen, die auf verschiedenen Niveaus andere und ergänzende Erzählformen ermöglichen. Nicht wenig davon kann auch mobil funktionieren.

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Aus Datenjournalismus sollte Journalismus über Daten werden

Als vor sechs, sieben Jahren dieses neue Genre Datenjournalismus entstand, war ein Enthusiasmus zu spüren. Zumindest habe ich das so empfunden. Endlich ein Genre, das die vielfältigen Möglichkeiten des Netzes nutzt. Eines, das die Linearität der bestehenden Gattungen durchbricht. Eines, das die adäquate Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung mit ihren immer größeren Datenmengen ist.

Noch länger, fast zehn Jahre ist es her, dass Adrian Holovaty einen Text schrieb, der zurecht viele inspirierte. Allerdings muss man 2015 feststellen: Seinen Ideen und Rat ist kaum wer gefolgt. Die W-Fragen, die Nachrichten permanent beantworten, werden von keinem Medium systematisch gesammelt, um sie dann auszuwerten und wieder journalistisch zu verwerten. Wenn Daten im Journalismus heute wirklich eine Rolle spielen, sind es es Userdaten, die jeden Klick, jede Regung der Maus oder auf dem Touchscreen registrieren.

Das Missverständnis

Meine Hoffnung, dass Datenjournalismus mit seinen neuen Perspektiven mehr Gehalt, neue Themen und mehr Tiefe in die Berichterstattung bringt, ist nur punktuell erfüllt worden. Es scheint: Je mehr sich zahlreiche Medienhäuser gegenseitig krampfhaft versichern, Qualitätsjournalismus zu betreiben, um so weniger Qualität wird wirklich geliefert. So ist es bezeichnend, was dieses Jahr im Statement der Nominierungskommission des Grimme Online Awards zu lesen war:

“Wie schon im letzten Jahr waren wir überrascht über einen Mangel an Aktualität: Die meisten großen und relevanten politischen Reizthemen (Überwachung/Bürgerrechte, Freihandel/TTIP, zunehmende Arm/Reich-Schere…) fanden auch diesmal so gut wie gar nicht statt. Das empfinden wir als etwas beunruhigend. Vielleicht sollten die Anbieter nach Präsentation und Recherche nun einen weiteren Schritt in der journalistischen Wertschöpfung zurückgehen und sich noch einmal gründlicher mit der Themenfindung beschäftigen.”

Präsentation und Recherche allein machen keinen Journalismus. Sicher: Die Einreichungen zum Grimme Online Award sind nicht gleich eine empirische Studie über das, was im deutschsprachigen Onlinejournalismus so vor sich ging. Aber der Auswahlprozess ist zumindest eine solide Erhebung und ein verlässlicher Gradmesser. Das eben genannte Statement deckt sich jedenfalls mit meiner Wahrnehmung: Dort, wo Journalismus, wo Datenjournalismus dringend benötigt würde, findet er nicht statt.
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Die datengetriebene Lokalzeitung – die Automatisierung der Nachrichten wird kommen

Seit einigen Jahren darf/muss ich viele Lokalnachrichten lesen. Bzw. überfliegen. Berufsbedingt. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Mindestens die Hälfte von den geschriebenen Lokalnachrichten, wie sie heute üblich sind, lässt sich in absehbarer Zukunft automatisch generieren. Aber es geht nicht um mein Bauchgefühl. Sondern es gibt Gründe dafür, warum die Automatisierung von Teilen der Lokalnachrichten faktisch unausweichlich ist: Es sind technologische und marktwirtschaftliche.

Sicher dürfte sein: Im Jahr 2025 wird die Anzahl und Auflage gedruckter Lokalzeitungen deutlich niedriger liegen als heute. Der Informationsbedarf der Leute dagegen dürfte sich aber bis dahin nicht grundlegend verändern. Das bedeutet: Digitale Angebote für Lokalnachrichten werden die Nachfrage kompensieren. Die Frage ist nur: Wer liefert die Nachrichten?

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Warum ich vom neuen Webauftritt der Süddeutschen enttäuscht bin

Irritation. Das beschreibt wohl am besten, was ich nach zwei Tagen Nutzung des neuen Internetauftritts der Süddeutschen Zeitung empfinde. Betrachtet habe ich mir ihn auf dem Desktop und Smartphone inklusive des neuen Angebots SZplus. Mich irritiert die Inkonsistenz. Zwei Jahre, so wird stolz in einem Video berichtet, wurde an dem jetzt vorliegenden Produkt gewerkelt (seit ich dieses Bild gesehen habe, muss ich immer lachen, wenn Leute sich vor einen weißen Hintergrund in ein Studio setzen und dazu säuselnde Fahrstuhlmusik läuft).

Was stört mich:

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Scheitern als Strategie

Eigentlich wollte ich nicht mehr über die Zukunft von Journalismus schreiben. Es ist recht müssig – das meiste ist lang und breit durchgekaut worden. Es gilt, weniger zu Reden und mehr zu Handeln. Aber wenn ich „eigentlich“ schreibe ist klar, dass ein „aber“ folgen muss. 

Im vergangenen Herbst hat Wolfgang Blau, Digitalchef bei The Guardian, in der Berliner Kalkscheune einen hörenswerten Vortrag gehalten. An einer Sache habe ich mich allerdings schon damals gestoßen. Nämlich sein Argument, dass hinter dem mangelnden Engagement hinsichtlich des Digitalen letztlich eine gut durchdachte kaufmännische Entscheidung auf Seiten der Verleger stecke. Jetzt hat Blau dieses Argument anlässlich des Relaunchs der Website des Guardians in einem Interview mit dem österreichischen Standard nochmal ausgeführt:

“Für viele Verleger gibt es in der digitalen Welt einfach nichts zu gewinnen, und wir sollten ihnen nicht so rasch Verschlafenheit vorwerfen. Ihre Strategie, das alte Printgeschäft so lange zu beschützen wie möglich und ihre digitalen Aktivitäten nur als markenpflegende Begleitmusik für Print zu betreiben, ist plausibel und legitim. Verlage sind keine Stiftungen, und die meisten Tageszeitungen haben nun einmal keine plausible digitale Zukunft, sondern nur eine mittelfristige Zukunft als Printmedien, und danach ist es leider vorbei.”

Das ist eine recht unorthodoxe Bewertung davon, was zumindest die digitalen Strategien vieler Verlagen in Deutschland angeht (über die ich am ehesten sprechen kann). Das macht diese Einschätzung nicht per se schlecht, sondern ist, wenn sie aus einem Munde wie von Blau stammt, zumindest bedenkenswert. Denn bevor er zum Guardian ging, hat er als Zeit Online Chefredakteur deren Website mit zum Erfolg geholfen. D.h. Blau hat Ahnung von der Branche. 

Ich halte seine Argumentation allerdings für fatalistisch. Im Wortsinnen von schicksalsergeben. Mir erschließt sich überhaupt nicht, woher Blau die Gewissheit für die von ihm postulierte Zwangsläufigkeit nimmt. Im Endeffekt behauptet er, dass viele Verleger gezielt und zurecht den digitalen Markt bewusst aufgegeben hätten. Wäre dem so, würden sie ein zynisches Spiel mit ihren Mitarbeitern treiben. Und von denen wäre allen unter 50 Jahren zu raten, sich sofort um den Absprung aus ihrem Unternehmen zu bemühen.
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