Interview mit Datenjournalistin Sylke Gruhnwald

Sylke Gruhnwald (Bio, Twitter) arbeitet bei der Neuen Zürcher Zeitung. Sie leitet dort seit 2012 den Bereich NZZ-Data

Wann ist Dir data-driven-journalism das erste Mal begegnet und wie verlief von dort an Dein beruflicher Weg hin zu Deiner jetzigen Arbeit bei der NZZ?

Simon Rogers und der Data-Blog des Guardian – das Blog bringe ich damit in Verbindung. CAR (Computer-assisted reporting) ist mir sicherlich länger ein Begriff. Angefangen habe ich bei der NZZ in der Wirtschaftsredaktion online. In den letzten zwei Jahren hat sich mein Schwerpunkt immer mehr in Richtung Daten und «interactive news» verlagert. Meine Kollegin Alice Kohli und ich bilden ein Zwei-Frauen-Team und arbeiten in Kooperation mit den Kollegen des Zürcher Design Studios Interactive Things oder auch OpenDataCity.

War es schwer, innerhalb der NZZ dem Thema Datenjournalismus Stellenwert zu verschaffen? Wird Deine Expertise heute selbstverständlich in den alltäglichen Redaktionsprozess einbezogen?

Im Grundsatz war die Etablierung nicht schwierig. Ziel für das nächste Jahr ist es, erwachsen zu werden – sozusagen. Ich möchte mein Team in Richtung datengetriebener Journalismus und zunehmend (investigativer) Recherche positionieren. Dazu zählt auch, dass wir uns mit sicheren Kommunikationsmöglichkeiten beschäftigen, eine eigene sichere Infrastruktur aufbauen, unsere Statistik-Kenntnisse weiter ausbauen, Coden und und und. Und nicht zuletzt müssen wir uns das Vertrauen der Leserschaft erarbeiten.

Woran es aber in der Tat noch hapert, ist ein tieferes Selbstverständnis für die Arbeit im Bereich Daten-Journalismus oder CAR. Viele setzen datengetriebenen Journalismus gleich mit interaktiven Applikationen, was schlichtweg falsch ist. Unsere Arbeit umfasst die Datenrecherche, -analyse und -übersetzung. Und wenn letzteres in eine Applikation mündet, ist das nur ein mögliches Ergebnis.

Wie selbstverständlich wird Datenjournalismus werden? Ist der Aufwand für alltägliche Redaktionsarbeit zu hoch bzw. zu teuer? Oder werden dem immer bessere Tools und die Teil-Automatisierung von Arbeitsschritten entgegenwirken? 

Datenjournalismus wird im deutsch-sprachigen Raum oftmals gleich gesetzt mit Infografiken, Datenvisualisierungen oder Applikationen. Wir werden in den nächsten Monaten sicherlich eine Vielzahl blinkender Visualisierungen sehen und lesen. Irgendwann wird der Visualisierungshype (hoffentlich) abebben und die Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Formaten – sprich, Text, Audio, Bild, Video, Visualisierung – stattfinden. An dessen Ende dann die beste Form gewinnt. Was das Thema Kosten betrifft: Anlässlich einer Veranstaltung an der London School of Economics hat Paul Bradshaw, ein britischer Journalist, einen guten Vortrag zu Recherchen und deren Kosten gehalten, Thema: «Lowering the costs of investigations». Was kostet Geld? Es sind die Mitarbeitenden, Zeit, Equipment und Spesen. Seine drei Merksätze hängen über meinem Schreibtisch in der Redaktion:

  1. Find an investiagtion and make yourself useful.
  2. If you have to do something more than once … automate.
  3. Make yourself findable to those with the resources you need.

Gerade Punkt 2 muss ich mir immer wieder vor Augen halten – Aufgaben, die mehrmals getätigt werden müssen, sollten automatisiert werden – soweit möglich. Das spart Zeit und damit auch Geld.

Gibt es ein Tool, das Du vermisst; beispielsweise etwas, was immer wiederkehrende Arbeitsschritte vereinfachen würde? Oder siehst du den Markt an Datenwerkzeugen bereits gesättigt?

Ein Zauberstab! Nein, im Ernst: Es gibt bereits einen ordentlichen Baukasten an Instrumenten. Dazu zählt für mein Team: ScraperWiki, GitHub, R, Datawrapper, Tableau, Mapbox, OpenStreetMap, Datawrapper, OCR-Software u.a. Gerade haben wir eine Geschichte mit mehr als 10 Kollegen aus Europa veröffentlicht. Dafür haben meine Kollegin Alice und ich erstmals mit Detective.io gearbeitet.

Was uns momentan beschäftigt, sind sichere Kommunikationsmöglichkeiten und Infrastrukturen für unsere Arbeit, unabhängig von grossen Unternehmen wie Google oder Amazon.

Es ist nicht die Auswahl der Instrumente, vielmehr die Zeit: Ich würde mir mehr Zeit wünschen, um unterschiedliche Instrumente intensiver zu testen und diese für die Nutzung im Redaktionsalltag aufeinander abzustimmen.

Welchen Themenbereich siehst Du bislang in Sachen Datenjournalismus unterbelichtet?

Nicht nur ein Themenbereich – leider. Fetzen aus meiner Filterblase: im Allgemeinen Korruption und Machtmissbrauch, Sport, internationale Handelsströme – dazu passt auch der Bereich Drogen, Rauschgifte, aber auch der Kunstmarkt – primär als auch sekundär.

Es gibt also noch viel zu tun. Nicht zu vergessen die bessere Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Disziplinen: Journalismus, Design und Entwicklung. Wir versuchen mit Hacks/Hackers Zurich einen Beitrag zu leisten. Ich meine und hoffe, dass wir im kommenden Jahr ein gutes Stück weiter sind, nicht nur bei der NZZ, auch die gesamte DDJ-Community.

Das Interview wurde per Mail im März und April 2014 geführt.

2 Gedanken zu „Interview mit Datenjournalistin Sylke Gruhnwald“

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