Verlage und Redaktionen: Investiert in Karten!

Pietro Vescontes Weltkarte von 1321

Es wird ein mächtiges Werkzeug sein: Wenn in Bälde der Dienst Mapbox sein Angebot Satellite Live startet, kann jedermann Satellitenbilder von fast jedem Punkt der Welt abrufen und verwenden. Bilder, die nicht älter sind als 18 Stunden. Wird der Dienst nicht zu teuer, steht dann außer einem wolkenverhangenem Himmel neuen Möglichkeiten der Beschreibung eines Geschehens nichts mehr im Weg.

Zwar ist es heutzutage selbstverständlich, überall mit seinem Mobiltelefon auf Karten aller Orte weltweit inklusive (nicht-aktueller) Satellitenbilder zugreifen zu können. Aber man muss sich ab und zu vergegenwärtigen: Das gibt es noch keine zehn Jahre. Vorher hätte man unzählige gedruckte Karten in vielen verschieden Maßstäben mit sich herumtragen müssen. Satellitenbilder mal eben aufzurufen war vor nicht allzu langer Zeit für die meisten noch Science Fiction (wenn man nicht in der Raumfahrt, beim Militär oder Geheimdienst arbeitete).

So sollte man in Zeiten, wo in jeder zweiten Nachrichtensendung das Wort Big Data fällt, an den wohl ältesten und stetig gewachsenen Big Data-Datensatz erinnern: Die Sammlung der Informationen, die die Topographie unseres Planeten beschreiben: Geoinformationen. Ihnen liegt die Weltkarte zugrunde; aus ihnen formen sich Landkarten und Atlanten, die sie in Ausschnitten und Vergrößerungen wiedergeben. Letztlich sind Karten nicht anderes als Visualisierungen von Geodaten.

Es ist offensichtlich, dass wir bei OpenDataCity immer wieder Karten verwenden. Und damit sind wir selbstverständlich nicht allein; man schaue sich nur Sammlungen von Datenvisualisierung an: Karten finden immer wieder Verwendung. Denn sie enthalten bereits eine so dichte Menge an Informationen, dass sie großartige Leinwände abgeben, um Kontext auf ihnen herzustellen. Vorausgesetzt der Betrachter versteht, Karten zu lesen.

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In den letzten Monaten haben wir uns viel mit Karten befasst; vor allem auch mit Kartenservern. Also der technologischen Infrastruktur, die das Kartenmaterial ausliefert. Zum einen wegen spezifischer Kundenaufträge, zum anderen wegen unserer Kartenplattform Lokaler. Die Kosten bei der Nutzung digitaler Karten entstehen vor allem durch Traffic, die Datenübertragung. Ein paar Minuten Nutzung von Google Maps dürfte einige dutzend Megabyte an Traffic verursachen. Denn es werden viele „Maptiles“, Kartenkacheln, ausgeliefert; kleine Bilder, die aneinander gereiht werden. Das Beispiel solch einer Kachel (siehe linksoben) von Google Maps ist 37kb groß und hat die üblichen 256*256 Pixel Größe; um den Bildschirm eines Full-HD Monitors (1920*1080 Pixel) mit diesen Kacheln zu füllen, braucht es gut 30 Kacheln, etwa 1 MB an Daten.

Damit das flüssig geschieht, muss auf Seiten des Dienstleisters, der das Kartenmaterial ausliefert, einiges bereitgestellt werden. So ist der reine Datensatz der gesamten Welt des freien Materials der OpenStreetMap, die „planet.osm„, alleine schon 21 Gigabyte groß (21.000 MB). Und das sind nur die Vektoren, die die Geoinformationen beschreiben. Wird dann auf jedem Zoomlevel die entsprechende Kartenkachel erstellt (gerendert), ergibt das Bildmaterial mit einer Größe von insgesamt ca. 52.000 GB (52 Terabyte). Das sind Pi mal Daumen 1,3 Milliarden Kartenkacheln: 1.300.000.000.

So manches Mal fällt uns im Gespräch mit Kunden auf, dass dort bislang wenig über Karten im Netz nachgedacht wurde. Das (einst) kostenfreie Kartenmaterial und die Satellitenbilder von Google Maps wurde als gegeben hingenommen; nicht ohne ironische Note im Medienbereiche, wo so gerne über die „Kostenlosmentalität“ (der anderen) gemeckert wird. Jedenfalls sorgte die Ankündigung von als Google Ende 2011, von kommerziellen Anbietern ab einer bestimmten Nutzungsmenge ihres Kartenmaterials Geld zu verlangen, für einige Aufruhr.

Digitale Karten sind ein wunderbares Ding. Und man sollte Google auch dankbar sein, dass es seit 2005 so einen einfach zu benutzten Dienst zur Verfügung stellt und für nicht-kommerzielle Nutzung kein Geld verlangt. Ja, es gab vorher schon Kartendienste im Netz. Aber dass die Nutzung von Karten zur alltäglichen Selbstverständlichkeit wurde, dürfte vor allem auf Google Maps zurückgehen. Das Phänomen beschleunigte sich dann durch den Aufstieg der Smartphones in Folge des ersten iPhones von 2007.

Das Problem mit Google Maps ist, dass es einen visuellen Kartenstandard setzt: Es scheint vergessen, dass Karten auf unterschiedlichste Weise gestaltet werden können. So sieht man etwa bei Spiegel Online, bei Zeit Online oder bei Süddeutsche.de beim Einsatz von Karten oft den gleichen visuellen Stil, der faktisch immer ein subtiles Google Branding transportiert. Was aber auch daran liegt, dass sich offenbar selten mit den Möglichkeiten der Google Maps API befasst wird, die Karten mit anderen Farben zu versehen.

Dabei wäre soviel mehr möglich bei wahrscheinlich um einiges günstigere Kosten. Das freie Kartenmaterial von OpenStreetMap ist zumindest in Europa weitgehend ebenbürtig mit dem kommerziellen Material von Google, Apple, Nokia oder Microsoft (Bing Maps). Und nicht zuletzt Dank der hervorragend Arbeit des eingangs erwähnten Anbieters Mapbox stehen eine Reihe von Open Source-Werkzeugen zur Verfügung. Sie ermöglichen verhältnismäßig einfach die Gestaltung eigener Karten. So hat Mapbox das Kartengestaltungswerkzeug Tilemill und den OpenStreetMap Editor „iD“ durch eine Förderung der Knight-Foundation umsetzen können. Für die Bereitstellung der Karten kann auf die Werkzeuge rund um die OpenStreetMap zurückgegriffen werden. Übrigens eines der grandiosesten Projekte, die das Internet hervorgebracht hat.

Sprich: Das Material und die Werkzeuge sind da; Servertechnologie- und kosten stellen auch keine großen Hürden mehr da. Es liegt also nah, dass sich Redaktionen und Verlage mehr mit Kartographie im Netz befassen sollten. Die technische Entwicklung, sei es der Geräte oder der Webtechnologie, erlaubt immer komplexere journalistischen Formate. Karten werden hier immer wieder als gehaltvoller Nährboden für Berichte und Geschichten dienen. So empfiehlt es sich, jemanden direkt in der Redaktion zu haben, der in die individuelle Gestaltung der Karten eingreifen kann. Der auch technisch in der Lage dazu ist, die Bereitstellung des Materials zu gewährleisten. Der Schritt hält mit der rapiden Weiterentwicklung im Bereich der Kartentechnologie – siehe z.B. Tilemill 2.

Das spart Reibungsverlust mit einem externen Dienstleister und ermöglicht eine hohe Entwicklungsgeschwindigkeit für kartenbasierte Artikel und Browser-Apps. Dazu dürfte ein eigener Kartenstil, der sich sichtbar vom Google Maps-Einheitsbrei unterscheidet, die eigene Marke schärfen.

5 Gedanken zu „Verlage und Redaktionen: Investiert in Karten!“

  1. Schöner Text. Was mir persönlich fehlt, ist eine gute Einführung zu statischen Kacheln (ohne den Betrieb eines eigenen Tileservers): wir haben das für den Zensus versucht, aber leider sind die meisten Tools mit denen man Tooltips an statische Kacheln setzen könnte entweder veraltet, oder an einen kommerziellen Service gekoppelt.

    Grade MapBox hat im vergangenen Jahr viele seiner OpenSource-Tools verkümmern lassen, die meisten Funktionen (z.B. UTFGrid) gibt es jetzt nur noch in MapBox.js – und das läuft nur gegen die eigenen Server. Leider ist das Pricing von MapBox eher auf kleine Einsätze ausgelegt, für uns macht das kostenmäßig keinen Sinn.

    Einen echten Tileserver aufzusetzen ist natürlich eine Option, aber das bedeutet auch eine weitere komplexe Komponente auf Dauer betreuen zu müssen. Leider ist GMaps da fast die sicherere Option.

    1. Also für ein Haus wie die Spiegel Gruppe würde sich das finanziell auf jeden Fall lohnen, einen eigenen Kartenserver (bzw. eine Farm) zu betreiben. Oder eben einen Dienstleister suchen, der das macht.

      Mapbox sind derzeit etwa 25 Leute, soweit ich weiß, und verändern, wie es eben ein Startup tut, immer wieder ihren Fokus. Die Entwicklung (und Pflege) von Open Source-Tools kostet eben auch Geld und da kann ich verstehen, dass manche Tools vernachlässigt werden. Mapbox ist ja kein gemeinnütziges Unternehmen.

      1. Re MapBox: das sollte keine Kritik an denen sein, obwohl sie durchaus ein wenig von dem Knight-Geld auch für sowas ausgeben könnten 😉 Schade ist eben, dass hier beinahe ein funktionierendes Open-Source-Ökosystem entstanden ist, das aber jetzt wieder verfällt.

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